Die Geschichte der Exoskelette: Von frühen Prototypen zu modernen industriellen Exosuits
- sofiadani3
- 14. Okt.
- 4 Min. Lesezeit
Exoskelette mögen wie Erfindungen aus der Zukunft klingen, doch ihre Geschichte reicht mehrere Jahrzehnte zurück. Was einst als experimentelle Robotikprojekte in Forschungslaboren begann, hat sich zu tragbaren Systemen entwickelt, die Menschen in Medizin, Logistik und Industrie unterstützen.
Frühe Visionen: Die ersten Exoskelett-Konzepte
Die Geschichte der modernen Exoskelette begann viel früher, als viele denken. Erste mechanische Unterstützungskonzepte tauchten bereits Anfang des 20. Jahrhunderts auf, entwickelten sich jedoch nie zu funktionsfähigen Systemen. Das erste offiziell dokumentierte Projekt entstand um 1965, als General Electric in den USA begann, Hardiman zu entwickeln – ein massives Ganzkörper-Exoskelett, das die Kraft des Nutzers beim Heben schwerer Lasten verstärken sollte. Es war eine kühne Vision, weit seiner Zeit voraus – aber auch zu schwer und zu komplex, um praktisch zu sein.
Zur gleichen Zeit forschten Wissenschaftler am Mihajlo-Pupin-Institut in Serbien und später an der University of Wisconsin–Madison (USA) an den ersten Exoskeletten zur Gangunterstützung. Ihr Ziel war es, Menschen mit eingeschränkter Mobilität wieder das Gehen zu ermöglichen – ein Gedanke, der bis heute im Zentrum der Rehabilitationsrobotik steht.
Aufgrund der technischen Grenzen jener Zeit dauerte es jedoch noch mehrere Jahrzehnte, bis die Exoskelett-Technologie für den praktischen Einsatz ausgereift war.

Vom Labor in die Klinik
Mit Beginn des 21. Jahrhunderts begannen Exoskelette, den Sprung aus den Forschungslaboren in reale Anwendungen zu schaffen. Eines der ersten kommerziellen Produkte war der Lokomat, 2001 von Hocoma AG in der Schweiz auf den Markt gebracht. Das System revolutionierte die Gangrehabilitation und half Patienten mit Schlaganfall oder Rückenmarksverletzungen, das Gehen neu zu erlernen. Bis 2013 hatte Hocoma über 500 Systeme weltweit an Kliniken ausgeliefert.
Parallel dazu wuchs die Forschung in Unternehmen und Instituten. Mehrere Projekte widmeten sich militärischen Exoskeletten wie dem Raytheon XOS und dem Lockheed Martin HULC, die Ausdauer und Kraft steigern sollten.
Gleichzeitig halfen medizinische Exoskelette wie ReWalk (ReWalk Robotics, Israel) und Indego (Parker Hannifin, USA) Querschnittgelähmten, wieder zu stehen und zu gehen. Viele erhielten CE- und FDA-Zulassungen, was ihren Einsatz in Kliniken und sogar zu Hause ermöglichte. 2016 feierte ReWalk sein 100. System im Heimeinsatz – ein wichtiger Schritt hin zu zugänglicher persönlicher Rehabilitation.
Über medizinische Anwendung hinaus: Exoskelette erobern den Arbeitsplatz
Während sich die frühen Exoskelette auf den medizinischen Bereich konzentrierten, eröffneten sich bald neue Möglichkeiten in Industrie und Logistik. Um 2015 begannen Unternehmen, industrielle Exoskelette zu entwickeln, um körperliche Belastungen zu reduzieren und Arbeitsverletzungen vorzubeugen.
Eines der ersten Beispiele war der Chairless Chair des Schweizer Unternehmens Noonee – eine Beinstütze, die es ermöglicht, überall zu sitzen und die Belastung durch langes Stehen zu reduzieren. Ein weiteres war das Laevo aus den Niederlanden – ein passives Rückenunterstützungs-Exoskelett, das Arbeiter bei häufigem Bücken oder Vorlehnen entlastet.
Passive Exoskelette gewannen rasch an Beliebtheit, da sie einfacher, leichter und günstiger waren als angetriebene Modelle. Sie konzentrierten sich auf ergonomische Unterstützung statt auf Kraftverstärkung – und wurden so zu einem praktischen Hilfsmittel in Branchen wie Logistik, Bau und Fertigung.
Der Aufstieg des textilen Exosuits
Mitte der 2010er Jahre entstand ein neues Konzept: weiche Exoskelette oder textile Exosuits, die hauptsächlich aus leichten Stoffen statt aus starren Metallrahmen bestehen.
Am Wyss Institute der Harvard University entwickelten Forscher textile Exosuits zur Gehunterstützung. Zur gleichen Zeit erforschte das Sensory-Motor Systems Lab der ETH Zürich ähnliche Designs – Forschung, die später zur Gründung von MyoSwiss führte, einem ETH-Spin-off, das 2020 den MyoSuit auf den Markt brachte.
2017 lizenzierte ReWalk Robotics die Exosuit-Technologie von Harvard, die 2019 für den Einsatz in der Schlaganfallrehabilitation zugelassen wurde.
Textile Exosuits boten einen entscheidenden Vorteil: Sie waren flexibel, angenehm zu tragen und passten sich den Bewegungen des Nutzers an. So fühlte sich tragbare Unterstützung erstmals mehr nach Kleidung als nach Maschine an.
Industrielle Exoskelette: Die zweite Generation
Um 2020 leitete eine neue Innovationswelle – geprägt von frischen Designkonzepten und zahlreichen Detailverbesserungen – die zweite Generation industrieller Exoskelette ein. Diese Systeme sind leichter, bequemer und einfacher zu bedienen als ihre Vorgänger und damit alltagstauglich geworden. Verbesserte Ergonomie, Anpassbarkeit und erschwinglichere Preise haben Exoskelette von experimentellen Prototypen zu praktischen Arbeitswerkzeugen gemacht, die Ermüdung reduzieren und Verletzungen vorbeugen – insbesondere in Logistik, Bau und Produktion.
Exoskelette in der Öffentlichkeit
Mit dem technologischen Fortschritt wuchs auch die öffentliche Aufmerksamkeit. 2012 sorgte Claire Lomas, die querschnittgelähmt ist, weltweit für Schlagzeilen, als sie den London-Marathon in einem ReWalk-Exoskelett absolvierte – nach 17 Tagen im Ziel. 2016 wiederholte sie die Leistung bei einem Halbmarathon.
Beim FIFA-WM-Eröffnungsspiel 2014 in Brasilien führte ein gelähmter Nutzer den symbolischen Anstoss mit einem gedankengesteuerten Exoskelett des Walk Again Project aus.
2016 veranstaltete die ETH Zürich den ersten Cybathlon, einen internationalen Wettbewerb, bei dem Exoskelett-Nutzer – sogenannte Piloten – einen Hindernisparcours mit alltagsnahen Aufgaben wie Treppensteigen oder unebenem Untergrund bewältigten. Damals schaffte es kein Team, den gesamten Parcours zu absolvieren, doch das Event zeigte, wie weit die Robotik bereits gekommen war.
Beim zweiten Cybathlon 2020 konnten alle Finalisten den Parcours erfolgreich abschliessen – ein deutlicher Fortschritt in nur vier Jahren. Der dritte Cybathlon fand im Oktober 2024 statt, mit 67 internationalen Teams in acht Disziplinen, und unterstrich erneut den enormen Fortschritt in Rehabilitations- und Mobilitätstechnologien. Das Event festigte seinen Status als globale Plattform für Mensch-Maschine-Kollaboration.
Inspiriert davon startete das Fraunhofer IPA 2021 den Exoworkathlon, ein Benchmarking-Event für industrielle Exoskelette. Die jüngste Ausgabe fand 2023 auf der A+A-Messe in Düsseldorf statt, wo Hersteller, Forschende und Anwender Systeme unter realistischen Arbeitsbedingungen testeten und verglichen. Der nächste Exoworkathlon ist für 4.–7. November 2025 geplant – erneut an der A+A Düsseldorf, als Teil des „Triple Exo Event“ gemeinsam mit der WearRAcon Europe 2025.
Solche Veranstaltungen machen die Wirkung von Exosuits sichtbar und fördern standardisierte Leistungstests in der gesamten Branche.
Von Science-Fiction zur Alltagsrealität
In nur wenigen Jahrzehnten haben sich Exoskelette von einer Science-Fiction-Idee zu einer realen Technologie entwickelt – von schweren Metallmaschinen zu leichten textilen Exosuits, die man den ganzen Tag tragen kann.
Heute helfen Exoskelette Arbeitenden, gesund zu bleiben, Rückenbelastungen zu reduzieren und Langzeitschäden vorzubeugen. In der Medizin schenken sie tausenden Menschen wieder Mobilität und Unabhängigkeit.
Zwar steht die breite Marktdurchdringung noch am Anfang, doch das Bewusstsein wächst schnell. Mit sinkenden Kosten und steigender Benutzerfreundlichkeit prägen industrielle Exoskelette zunehmend eine Zukunft, in der Technologie und Mensch im Einklang arbeiten – für sicherere, gesündere und effizientere Arbeitsplätze.


